Freitag, 2. Mai 2014

The sexiest drummer in the world (keine Erotik)

Hallöchen meine lieben Blogleser
Habe euch eine Geschichte geschrieben, die sich einem bestimmten Thema widmet. Bulimie.

Lest einfach selbst. Über Resonanz hierzu würde ich mich natürlich freuen. 

                            
Bild von Pixabay in Public Domain. http://pixabay.com/



The sexiest drummer in the world
Liebe und Zuwendung heilen die Seele und den Körper
Für Julia ist es ein ganz banaler Tag, als sie des Morgens aus tiefem Schlaf erwacht. Es sind die alltäglichen immer wiederkehrenden Dinge, die ihr das Leben nicht wirklich versüßen. Seit dreißig Jahren geht das schon so. Es fühlt sich innerlich wie ein Sterben an. Zudem macht sich Eiseskälte, gepaart mit Gänsehaut, im gesamten Körper breit. Wie gerne würde sie leben und ihre facettenreiche Gefühlswelt herauslassen. Es ist ihr nicht möglich, da Julia mutterseelenallein ist. Verzweiflung macht sich in diesem Moment vehement breit und will sie einfach nicht mehr loslassen. Julia kann das nicht akzeptieren, muss es aber. Schon seit längerer Zeit hat sie sich aufgegeben. Alles beginnt in ihrem Körper aufzubäumen und zu revoltieren. Das Teufelchen hat sich schon auf ihrer Schulter einen warmen Platz gesucht. Es wispert mit Fistelstimme ins Ohr. „Julia, befreie dich.“ „Du weißt doch, was zu tun ist.“ Teufelchen grinst unverschämt. Dieser immer wiederkehrende Kampf jeden Tag. Kampf gegen die Sucht. Julia kämpft ihn manchmal vergebens. Ihr Körper zeigt inzwischen Narben auf der Seele und auch auf dem Körper. Ausgemergelt und kraftlos liegt sie nur einfach da und kämpft. Innerlich. Tränen der Machtlosigkeit rinnen ihr die Schläfen hinunter und durchnässen das Kopfkissen.

Jedoch ist die Sucht stärker. Julia windet sich mit Mühen aus dem Bett und schwankt zum Bad. Irgendwo habe ich meinen Vorrat an Gummibärchen versteckt, fragt sie sich. Lebensmittel hat Julia wohlweißlich überall deponiert und nicht sichtbar untergebracht, damit sie nicht pausenlos an diese denken muss. Inzwischen reden sie mit ihr. „Schau mal, wie toll wir aussehen.“ „esse uns.“ „Es wird dir gefallen.“ Das Rufen wird immer lauter und intensiver. Jetzt gibt es kein Halten mehr. Ihr Körper beginnt heftig zu zittern. Da sie die Gums nicht findet, schwankt Julia in die Küche und zum Kühlschrank. Nur noch ein Schritt, und das Paradies öffnet sich. Der Kopf ist jetzt ausgeschaltet. Ohne kauen wird alles hineingeschlungen. Verpackungen unkontrolliert aufgerissen und ebenfalls der Inhalt vertilgt. Das Gefühl der Sättigung kennt Julia schon  lange nicht mehr. Der Frust lässt dieses einfach nicht zu. Es vergehen zwanzig Minuten, als Julia übel wird, da der Magen diese Mengen nicht fasst. Schnell zurück ins Bad und den Finger mehrmals  in den Hals gesteckt. Ein Gemisch von undefinierbaren Lebensmitteln ergießt sich ins Klobecken. Eben nur ein tägliches Frustritual.
Weitere dreißig Minuten vergehen, als Julia versucht, sich kraftlos aufzurichten. Sie sinkt zu Boden und beginnt abermals heftig zu weinen. Du musst damit aufhören, sagt ihr der Verstand. Jedoch ist Julia meilenweit davon entfernt. Völlig in ihrer Welt eingeschlossen, ergibt sie sich dem Schicksal. Einen guten Freund der ihr hilft, diese Sucht zu überwinden, gibt es nicht. Wie sehr schreit ihr Körper eben nach diesem. Jeden gottverdammte Tag. Was Julia jetzt noch nicht wissen kann, wartet schon am selben Abend in einer Disco. ,,The sexiest drummer in the world,,.
Der Abend naht
Julia schleppt sich mit letzter Kraft in ihr Bett. Wenigstens hier  findet sie erst einmal eine gewisse Ruhe vor der bösen Welt und schläft ein. Als sie irgendwann am Nachmittag erwacht, kommt auch das Erinnerungsvermögen wieder. Du willst eigentlich zu dieser Disco oder doch nicht, stellt sie sich die eigentlich unnütze Frage. Teufelchen ist verschwunden und Engelchen nimmt den Platz ein. „Du solltest es unbedingt machen, Julia“, spricht es mit zärtlicher, sanfter Stimme. „Vielleicht wartet dort schon deine Erlösung aus der misslichen Lage.“ „Wenn du es nicht angehst, vergibst du eine weitere Chance“, säuselt es weiter. Julia muss sich sehr anstrengen, um aus ihrem warmen Bett zu kriechen. Nur mit sehr viel Mühe gelingt es ihr ins Bad zu wanken. Erst einmal Zähne putzen, um den fauligen Beigeschmack der morgendlichen Kotz Aktion zu beseitigen. Inzwischen haben sich schon einige Zähne verabschiedet, und zeigen Lücken. Der Rest weist massiven Zahnschmelz Verlust auf. Egal, denn das Lachen hat Julia bereits verlernt. Wozu auch, und vor allem für wen?. Nur sehr langsam beginnt Julia sich ihre viel zu weite Kleidung anzuziehen. Sie möchte verbergen, dass es eine böse Krankheit gibt, die sie jeden Tag in Besitz nimmt. Ihre Haare sind strohig und glanzlos. Alles an ihr ist inzwischen so kaputt und nicht mehr bereit, um ein erfülltes Leben auch nur ansatzweise genießen zu können.
Mit allerletzter Kraft schleppt sich Julia zur Disco. Gott sei Dank befindet sich diese nur um die Ecke. ,,Flow over,,. Wie passend, denkt sie sich und kann sich ein gewisses Lächeln nicht verkneifen. Der Türsteher sieht Julia misstrauisch an. „Julia, bist du es?“. „Was ist los mit dir?“. „Bist du krank?“. Er kann nicht wissen, dass sie wirklich krank ist. „Komm rein und bestelle dir erst einmal ein Getränk“. „Geht auf meine Rechnung“. „Die  Band hat ihre Instrumente schon aufgebaut“. „Es müsste jeden Moment losgehen“. „Ach ja, ein neuer Drummer hat sich dazugesellt“. „Ein ziemlich cooler Typ“. „So eine Mischung aus…“ Günter schnippt mit dem Finger, weil er nicht auf die Namen kommt. „Lass mal sein Günni“. „Du und dein Gedächtnis“. Julia kann sich ein Grinsen abringen. „Ich möchte mir nur die Zeit vertreiben, sonst nichts“. „Natürlich, Julia“. „Wollen doch alle hier, oder nicht?“. Günni lächelt mit einem breiten Grinsen über sein fülliges Gesicht. Julia betritt endlich die Disco, in der bereits die Musiker heftig auf ihre Instrumente eindreschen. Der ohrenbetäubende Lärm passt zu dem Lied, einem Rock Song von den Scorpions. –Rock you like a Hurricane-. Passend zu den jeweiligen Instrumenten leuchten auf der Tanzfläche bunte Lampen im Rhythmus dazu auf. Blau für die Drums. Grün für die Leadgitarre. Rot für den Bass und Gelb für den Synthi. Irgendwie sieht der Front Man dem Klaus Meine etwas ähnlich. Selbst die Stimme ist fast authentisch. Mit einer Überzeugung, die eher an Selbstüberschätzung grenzt, röhrt er ins Mikro. Was nutzt da die Stimme, wenn der Ton nicht getroffen wird. Julia muss unweigerlich lachen.
Momentan ist sie einfach noch zu schwach, um zu tanzen. Der nächste Tisch ist ihrer. Julia nimmt auf einen der drei Stühle Platz und beäugt den neuen Drummer, der ebenfalls wie wild auf die gespannten Felle einhämmert. Der scheint sein Instrument voll im Griff zu haben, denkt sie sich. Da sitzt er nun hinter seinem Schlagzeug. Die Trommelstöcke wirft er hoch und fängt sie wieder auf. Dreht den rechten über den Mittel- und Zeigefinger. Immer und immer wieder dieselbe Prozedur. Das ist es, denkt sich Julia. Ein leises wow kommt über ihre spröden Lippen. Sie nippt an ihrer scharfen -blutigen Mary-.  Jetzt fallen ihr die Namen ein, auf die Günni nicht kam. Eine Mischung aus Falko und Depp. Die Klamotten von Falko und die markanten, indianischen Gesichtszüge von Depp. Ein Gefühl von Hingezogen sein macht sich in ihrem tiefsten Inneren breit. Mein Gott, wie soll ich nur seine Aufmerksamkeit erregen, beginnt sich Julia zu fragen. Okay, die  Band wird auch eine Pause einlegen.
Genau bei diesem Gedanken hört die Musik auf zu spielen. Die Mitglieder verbeugen sich kurz, um danach hinter der Bühne zu verschwinden.  Julia erhebt sich und taumelt, noch immer etwas kraftlos, den Musikern über diese hinweg, hinterher. Dabei stolpert sie über ein herumliegendes Musikteil und stürzt auf den harten Boden. Die Beleuchtung ist miserabel und lässt kein richtiges Sehen zu. Sie fällt so unglücklich, dass sich Julia den Kopf verletzt. Aus einer kleinen Wunde sickert Blut, tropft auf den Boden und bildet kleine rote Sternchen. Sie wirken wie ein Zeichen der Liebe. Kurz darauf verliert sie das Bewusstsein.
Die Pause ist beendet. Die Musiker wollen über den halbdunklen Raum, zurück auf die Bühne kehren. Drummer Mike ist der Erste, welcher Julia am Boden liegend erblickt. Ihr Kopf liegt inzwischen in einer größer gewordenen Blutlache. Die Sternchen sind von ihr zugedeckt. Mike reißt sich einen Fetzen Stoff  aus seinem geöffneten, weißen Hemd und drückt es auf die Wunde. „Steve, rufe sofort den Krankenwagen“, schreit er ihn mit einem entsetzten Blick in den Augen an. Steve kramt in seiner Hosentasche und kann sein Handy nicht finden, da er es zu Hause liegengelassen hat. „Wenn man dich  schon einmal braucht“, wettert Mike. Wut schwingt in seiner Stimme mit. „Junge, du  kannst zwar erotisch deine Klampfe zupfen, aber im Kopf ist nur Hohlraum“. „Dann  bewege deinen gottverdammten Arsch an die Bar“. „Johnny hat immer ein voll geladenes Handy aufn Tresen liegen“. „Oder hast du das etwa auch vergessen?“. „Menschenskind, du bist die größte Hohlbirne, die ich kenne“. Mike verdreht dabei seine Augen, um seiner Stimmung mehr Ausdruck zu verleihen. Inzwischen hat Julias Kopfverletzung aufgehört zu bluten. „Puh, Gott sei Dank. Die Blutung ist erst einmal unter Kontrolle“. „Trotzdem solltest du den Krankenwagen rufen“. „Man kann ja nie wissen, welche Verletzungen wirklich vorliegen“. „Hast du das jetzt gecheckt?“, fragt er Steve, nun sichtlich ruhiger geworden. Mit gesenktem Kopf gibt dieser nur ein gehauchtes „Ja“ von sich. In solchen Momenten kann er Mike einfach nicht in die Augen blicken. Steve ist eben ein kleiner, schüchterner, vergesslicher, in sich  gekehrter Typ.
Mike bückt sich weiter hinunter, um Julias Gesicht zu betrachten. Es ist grau, und die Wangen sind eingefallen. Obwohl Julias Haare teilweise vom Blut getränkt sind, lassen sie dennoch ihre stumpfe, braune Farbe durchschimmern. Er streicht ihr intuitiv zärtlich über das ausgezehrte Gesicht. So als wollte er damit ausdrücken, du bist es Wert, geliebt zu werden. Vorsichtig hebt er ihren leichten Körper vom kalten Boden auf und trägt Julia zu einer Liege, die nur einige Meter entfernt zum Ausruhen bereit steht. Mike will sie von ihrem Pullover befreien, der vom Blut aufgesaugt, an ihr klebt. Erst jetzt macht sich das erschreckende Ausmaß ihrer Sucht breit. Die Rippen als auch die Schlüsselbeine stehen stark hervor. In Mikes Kopf läuft jetzt ein Film ab. Aus unlängst vergangener Zeit. Seine Schwester war genau so dünn und abgemagert. Damals konnte er nicht wissen, dass sie unter Fress- und Kotz Attacken litt. Erst später, als er sie  ins Krankenhaus brachte, wurde die Diagnose Bulimie gestellt. Immer wenn sie sich einsam fühlte, kompensierte sie eben mit dieser. Jedoch war es für sie schon zu spät. Ihr gesamter Stoffwechsel hatte aufgegeben. Der Körper gab einfach nichts mehr an Leben her. Trotz der Schläuche durch ihre Nasenlöcher, über die ein flüssiges Nährmittel in ihren Magen gepumpt wurde. An ihre Beerdigung kann sich Mike heute noch erinnern. Es war Herbst, und der Regen prasselte auf ihren kleinen weißen Sarg. Die Vergangenheit wird in diesem Moment zur Gegenwart. Vielleicht fehlt diesem jungen Mädchen nur die Liebe und Zuwendung, die sich eigentlich jeder Mensch verdient hat?, fragt sich Mike sofort.
Mike kann nicht wissen, dass er bereits jetzt schon tiefe Zuneigung empfindet. Sein Herz beginnt zu sprechen. Er hat schon einige Frauen in seinem Leben gehabt. Vielleicht viel zu viele. Es ging immer nur um das eine. Purer Sex. Ohne Liebe und Empfindungen. Doch jetzt ist alles irgendwie anders. Mike kann es nicht einordnen. Diese Art von Gefühl ist ihm völlig fremd. Eine erotische Ausstrahlung hat Julias Körper nun wirklich nicht. Vielleicht möchte er dieses Mädchen einfach nur vor dem bewahren, was seiner Schwester wiederfahren ist?. Der Tod. Nein, es ist etwas anderes. In diesem Mädchen steckt etwas, was ich nur in ihr wecken muss, denkt er sich. Die Liebe heilt die Seele und den Körper. Hätte er damals die ersten Warnzeichen dieser scheiß Krankheit nur ansatzweise  wahrgenommen, würde sie heute noch leben, und er könnte ihr fröhliches Lachen  hören. Bianca hat sich Stück für Stück zurückgezogen und abgeschottet. Für Gespräche hatte er einfach keine Zeit. Ab und zu ließ sie durchblicken, dass sie einsam ist. Er ignorierte es. Wie immer. Ein blutjunges Ding und einsam?. Kann mir keiner erzählen wollen. Die soll mal aus sich herausgehen und Jungs aufreißen. Mike war schon immer ein harter Kerl, der einfach keine Gefühle zuließ, obwohl sie tief in ihm schlummerten.
Aber mit diesem Mädchen auf der Liege vor ihm war es anders. Mike würde sie am Liebsten in seine Arme nehmen und feste drücken. Eine innere Stimme beginnt zu reden. Dann tue es doch, verdammt noch mal. Wer hindert dich daran?. Warum zum Teufel noch mal denkst du noch so lange darüber nach?. Sie ist dir bestimmt. Ihr Beide seid füreinander gemacht. In diesem Moment kommt Julia langsam zu sich und öffnet zaghaft ihre braunen Augen. Ihr Körper fühlt sich schlaff an und schmerzt. Sie blickt in die ebenfalls braune Iris von Mike. Ein liebliches Lächeln huscht über sein Gesicht. Erst jetzt begreift er die Situation und nimmt Julia in seine starken Arme. Eine wohlige Wärme durchströmt ihren kranken Körper. Sie schlingt ihre dünnen Ärmchen um seinen Hals und gibt ihrer Zuneigung Ausdruck, in dem sie Mike einen lebensbejahenden Kuss auf den Mund drückt. „Danke“, war alles, was Julia sagen konnte. Mehr Worte waren auch nicht nötig. Augen und Blicke sagen mehr als Worte. Eine innige Liebe nimmt ihren Lauf.
Jahre später
Julia ist heute gesund und Mutter von zwei Kindern. Sie hat Liebe bekommen  und gibt diese auf vielfältige Weise zurück. Kinderlachen erfüllt heute die gesamte Wohnung der Beiden. Der Mensch ist einfach nicht fähig, ohne diese leben zu können. Er existiert nur. Dümpelt inhaltsleer von einem Tag zum Nächsten. Ohne jedweden Sinn und Gefühl für sich selbst, gibt er irgendwann einmal auf. Es gibt nur wenige Menschen, die aus eigener Gesinnung heraus allein sein wollen. Einsiedler, sogenannte Eremiten.  
Mein Rat: achtet auf euer nächstes Umfeld. Also die Familie. Reagiert sofort und kommuniziert über alle Probleme in dieser. Das ist die beste Präventionsmaßnahme, die es gibt.
Diese Krankheit zieht sich durch alle Altersgruppen. Jeden kann es eventuell einmal treffen. Dann ist man froh, wenn es jemanden gibt, der auch zuhört. Zuhören und Hinsehen haben oberste Priorität.
© Marlies Hanelt                  
  
                       
       

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